walter schulze-mittendorff bio 18

 

Walter Schulze-Mittendorff


18. Im Angesicht des Grauens


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Für Walter Schulze-Mittendorff besteht die paradoxe Situation, dass er eigentlich Nazi-Deutschland verlassen wollte, weil ihm klar war, was ihn erwarten wird, wenn er bleibt; nämlich das unmittelbare Erleben der Judenverfolgung, die Aufhebung der künstlerischen Freiheit und letztlich der Krieg. Aber gerade aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinem jüdischen Schwiegervater hat er auf die Ausreise verzichtet. Angesichts des Grauens, mit dem er jetzt konfrontiert ist, bedarf es eines strategischen Vorgehens, das ein Leben im Überleben zum bestmöglichen Wohle für ihn und seine Frau möglich macht.


Dokument zur behördlichen Anerkennung des

Familiennamens Schulze-Mittendorf für das Ehepaar.


Walter Schulze-Mittendorff durchschaut die Nazis und deren Vorhaben, das versetzt ihn in die Lage, den ersten Schritt zu tun. 1932 lässt er seinen bereits 12 Jahre inoffiziell geführten Doppelnamen behördlich eintragen. Dazu mag ihn die Überlegung motiviert haben, dass bei einer Gefangennahme seiner Frau der Name ‚Schulze’ zu anonym wäre, da er zu den häufigsten Namen zählt. Den Ort einer Verwahrung herauszufinden ist einfacher, wenn der Name der Gefangenen selten und auffällig ist.

Später, als es für seine Frau gefährlich wird, geht er immer wieder direkt zu den Behörden und handelt für sie aus, dass sie zu Hause bleiben kann; das kostet Geld, das Vermögen schmilzt dabei dahin. Er sagt zu den Herren dort: „Warum sprechen Sie von meiner Frau als ‚halb-jüdisch’, Sie können doch genauso gut von ‚halb-arisch’ reden.“ Es mag an seiner kühnen Haltung liegen, dass er davor bewahrt bleibt, zur Scheidung von seiner Ehefrau gezwungen zu werden, und selbst als seine Ehe später bröckelt, bleibt er mit seiner Frau bis zu deren Tod 1949 verheiratet.


Ab 1941 wird Walter Schulze-Mittendorff ständig Zeuge der verbrecherischen Menschenverschleppungen. Der S-Bahnhof Grunewald dient dem innerstädtischen Personentransport, während der vordere Teil des Bahnhofs als Güterbahnhof genutzt wird. Das Gleis 17 ist das erste Gleis des Güterbahnhofs und kann deshalb über eine Rampe befahren werden, alle anderen Gleise sind nur über Treppen erreichbar. Die Trabener Straße läuft auf den Bahnhof Grunewald zu und das Grundstück Nr. 19, der Wohnsitz von Walter Schulze-Mittendorff, grenzt an der Rückseite an das Gleis 17. Von diesem Gleis aus werden in den letzten dreieinhalb Kriegsjahren Jahren 50.000 Juden in die Vernichtungslager im Osten deportiert. Auf Lastwagen, die auf der Trabener Straße an der Vorderfront der Grundstücke vorbeifahren, werden die Menschen zum Bahnhof verbracht. An der Rückfront der Grundstücke werden sie dann auf dem Gleis 17 entladen und wie Kargo in die Güterwaggongs verfrachtet, die sie in die Todeslager bringen. Für Walter Schulze-Mittendorff ist es nach dem Krieg unfassbar, dass es Menschen gibt, die von den Verschleppungen nichts gemerkt haben wollen, ist es in Berlin doch so offensichtlich gewesen. Heute ist das Gleis 17 ein Mahnmal „Zum Gedenken der Opfer der Vernichtung“.


Das Gleis 17 – ein Mahnmal

„Zum Gedenken der Opfer der Vernichtung“


Die Rückseite des Hauses Trabener Straße 19,

Ansicht vom Gleis 17


Es sei hier erwähnt, dass neben der Hauptgruppe der Verfolgten, den Juden, die ganz gezielt der Vernichtung ausgesetzt sind, auch die Roma und Sinti, die Kommunisten und Sozialdemokraten, die Pazifisten und Defätisten, das sind sogenannte Wehrkraftzersetzer (zum Beispiel die Geschwister Sophie und Hans Scholl), die geistig und körperlich Behinderten (einschließlich der Kinder), die Bettler und Obdachlosen, die Homosexuellen, die Prostituierten, die Zeugen Jehovas, die Astrologen und die Swing-Jugend (die jugendlichen Fans der amerikanischen Swing Musik), zu den Verfolgten zählen. Viele von diesen Menschen werden zum Tode verurteilt oder systematisch getötet oder kommen in den Konzentrationslagern ums Leben.


Walter Schulze-Mittendorff, Zeichnung

„Opfer des Faschismus, Aus der Erde sich Lösender“


Die größte Bedrohung für sein Leben stellt für Walter Schulze-Mittendorff der Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 dar. Hat er schon nach der Erfahrung des Ersten Weltkriegs eine klare Position gegen den Krieg bezogen, ist es für ihn jetzt absolut ausgeschlossen, für die Nazis in den Krieg zu ziehen. Zudem würde sein Einzug zum Militär bedeuten, dass er seine Frau schutzlos zurücklassen müsste. Nachdem er zwischen 1935 und 1938 an fünf weitern Filmen mitgewirkt hatte, fasst er 1940 den Entschluss, sich von der Terra Filmkunst GmbH als Kostümbildner unter Vertrag nehmen zu lassen. Das ist ein geschickter Schachzug von ihm, denn die Filmproduktion untersteht dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, und als Filmschaffender steht er automatisch auf der Liste von Propagandaminister Joseph Goebbels als ‚unabkömmlich’. Damit ist er vom Kriegsdienst befreit.

Am Ende des Krieges wird es für einen kurzen Augenblick noch einmal brenzlig für ihn. Alle waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren werden jetzt zum ‚Volkssturm’ herangezogen, ein völlig aussichtsloses letztes militärisches Aufbäumen vor dem endgültigen Niedergang; es wird geschätzt, dass 175.000 Volkssturmangehörige in den letzten Kriegsmonaten gefallen sind.

Auch Walter Schulze-Mittendorff wird kurz vor Kriegsende zum ‚Volkssturm’ eingezogen. Als er zu seiner Abteilung kommt und den militärischen Zugführer sieht, handelt er sehr schnell und bestimmt. Er fasst in seine Manteltasche und täuscht darin mit seinen langen Fingern die Umrisse eines Pistolenlaufs vor, zielt damit auf den Zugführer und sagt zu ihm in scharfem Ton: „Wenn Sie mich nicht augenblicklich gehen lassen, erschieße ich Sie.“ Der Zugführer ist daraufhin so verschreckt, das er ihn ohne weiters ziehen lässt.

Kurze Zeit später ist der Krieg vorbei, und die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, die Herrschaft des Verbrechens, hat ein Ende.

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