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Walter Schulze-Mittendorff


Eine Strecke des Lebens


1. 1893

Walter Schulze-Mittendorff kommt am 31. Januar 1893 als mittlerer von drei Brüdern in Berlin-Tiergarten zur Welt und wird drei Monate später in der Evangelischen Zwölf-Apostel-Kirche auf den Namen Walter Georg Herrmann Schulze getauft und 14 Jahre später dort auch konfirmiert. Mit der nahen Wende zum 20. Jahrhundert wird er in eine Zeit des Umbruchs hineingeboren.

Noch sind Öllampen die Hauptlichtquelle in den Wohnungen und schon erhellen Gaslampen die nächtlichen Straßen, und die Elektrizität wird als Beleuchtungsquelle erprobt. Noch prägen Pferdekutschen das Straßenbild und gleichzeitig entstehen die ersten Automobilfabriken. Noch ist das Obrigkeitsdenken des wilhelminischen Kaiserreiches vorherrschend und schon gibt es eine sozialistische Arbeiterpartei in Deutschland. Gerade wird damit begonnen die menschliche Psyche wissenschaftlich zu analysieren als sich ein übersteigerter Nationalismus herausbildet der später in den Ersten Weltkrieg mündet. Und in der Kunst weicht die Bedeutung des gemalten und modellierten Portraits der photographischen Ablichtung. Diese gesellschaftlich fortlaufenden Umbrüche werden auf Walter Schulze-Mittendorffs Leben einwirken.

Sein Vater, Georg Paul Herrmann Schulze ist Uhrmacher, zusammen mit einem Kompagnon betreibt er ein eigenes Uhrengeschäft. Als das Gemeinschaftsunternehmen auseinanderbricht findet der Vater eine Anstellung als Werkmeister in einem feinmechanischen Betrieb. Die Familie zieht nach Berlin-Schöneberg in die Habsburgerstraße.


2. Lehrzeit

Früh zeigt sich die handwerklich-künstlerische Neigung und Begabung. Er, der ein guter Schüler ist, verlässt 14-jährig die Gemeindeschule in Schöneberg und beginnt eine Lehre zum Bildhauer im Atelier von Otto Rossius in Berlin-Steglitz in der Brüderstraße. Am 1. April 1911 erlangt er das Prüfungszeugnis zum Gesellen in Bildhauerei und Stuckatur mit dem Prädikat ‚Gut’. Schon seine Jugend widmet er der Arbeit, von der sein ganzes Leben geprägt sein wird. In seinen späten Jahren gibt er oft den Leitsatz seines Lehrerprofessors wieder: ‚Talent ist Fleiß’. Sicher wird ein Talent durch die Übung vervollkommnet.


3. Gesellenzeit

Während seiner vierjährigen Lehrzeit und auch jetzt, da er sein Können als Geselle erprobt, besucht er die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule der Stadt Berlin in Charlottenburg, um sich in Abend- und Tageskursen im Aktzeichnen und im Zeichnen und Modellieren von Ornamenten und Figuren weiterzubilden. Die Wege zwischen der elterlichen Wohnung in Schöneberg, dem Atelier in Steglitz und der Schule in Charlottenburg legt er dabei meist zu Fuß zurück. Zeit seines Lebens ist er Fußgänger geblieben und hat weder einen Führerschein gemacht noch je ein Auto besessen.


4. Kiew

1912 reist er für mehrere Monate nach Kiew in das zaristische Russland, um dort zu arbeiten. Er lernt das Land und die Leute kennen und bemerkt die Wissbegier der Menschen, die ihre freie Zeit häufig damit ausfüllen, Bücher zu lesen. Auch beeindruckt ihn deren Fähigkeit, scheinbar unmöglich umzusetzende Problemstellungen auf eine unorthodoxe Weise zu lösen. So verbreitert man beispielsweise die Straßen, indem man die Häuser einfach vom Boden absägt und ein paar Meter vom Straßenrand entfernt wieder aufstellt. Die Erfahrungen, die er während seines Aufenthaltes in Russland gesammelt hat, mögen ihm später, 1945, als Berlin von der Roten Armee befreit wird und Teile der Stadt von den Sowjets besetzt werden, zu einer realistischen Einschätzung den Besatzern gegenüber verholfen haben. Er lässt Vorsicht walten ohne in eine Panik zu verfallen.


5. Die Mutter

Mit seiner Mutter Agnes Anna Pauline, geborene Mittendorf, verbindet Walter Schulze-Mittendorff ein enges Verhältnis. Später, 1920, wird er ihren Namen hinzunehmen und sich dann Schulze-Mittendorff nennen. Die Schreibweise mit dem zweifachen ‚ff’ am Ende übernimmt er von seinem Großvater Joseph Mittendorff, der sich urkundlich mit einem doppelten ‚ff' geschrieben hat. Agnes Schulze lebt bis 1955, drei Jahre länger als ihr Mann Georg Schulze.


6. Studienzeit

In den zwei Jahren der Gesellenzeit reift Walter Schulze-Mittendorff zu einem stattlichen jungen Mann heran und wird mode- und kleidungsbewusst. Sein Wille, sich als Künstler weiterzubilden, festigt sich. Zum Sommersemester 1913 wird er in die ‚Königliche Akademie der Künste’ zu Berlin aufgenommen und setzt dort seine Studien der Bildhauerei fort. Am 4. September 1914 erhält er von der Akademie die Zuerkennung des ‚Künstler-Einjährigen’. Diese Zuerkennung ist ein wichtiges Schriftstück, sie entspricht dem Schulabschluss der Mittleren Reife.

Das ‚Künstler-Einjährige’ bescheinigt Walter Schulze-Mittendorff das „Prädikat besonderer Auszeichnung in einem Zweige der Kunst“, „da er sich durch seine künstlerischen Leistungen auf besondere Weise auszeichnet.“

Handschriftlich unterzeichnet ist das Dokument mit A. v. Werner. Anton von Werner war von 1875 bis 1915 Direktor der ‚Königlichen Akademischen Hochschule für die bildenden Künste zu Berlin in Charlottenburg’.

Das Prädikat des ‚Künstler-Einjährigen’ ist bedeutend, weil es Künstlern und Wissenschaftlern im Studium, die keinen höheren Schulabschluss vorweisen können, als Nachweis dient, wissenschaftlich zum ‚Einjährigen Freiwilligen-Militärdienst’ befähigt zu sein. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 ist es für einen jungen Mann unumgänglich, zum Krieg eingezogen zu werden. Der ‚Einjährige Freiwilligen-Militärdienst’ (der angesichts des Krieges kein ganzes Jahr gedauert hat), bietet den Vorzug, sich die Truppengattung selbst aussuchen zu können und am Ende des Jahres zum Offizier der Reserve weiterbefördert zu werden, eine im Krieg sicher vorteilhaftere Ausgangsposition. Walter Schulze-Mittendorff wählt anfangs die Kavallerie und zieht im Frühjahr 1915 als Leutnant der Reserve in den Krieg, in dem er als Feldartillerist und Frontsoldat kämpft.


7. Kriegszeit

Mit Ausnahme der dokumentierenden Kriegsmalerei oder -photographie und der Kriegsdenkmäler, die der Kunst bedürfen, sind doch Krieg und Kunst im Kern zwei sich widerstrebende Bereiche. Der Künstler ist ein schöpferischer, erschaffender Mensch; der Zweck des Kriegshandwerks dagegen ist die Zerstörung. Verhilft die Kunst der Schönheit und Ästhetik zu ihrem Ausdruck, erschüttert der Krieg mit der Abscheulichkeit von Gewalt, Tod und Verwesung. Auf mysteriöse Weise kann sich Walter auch beim Erlernen der Kriegskunst seine eigene Ästhetik bewahren. Seine Erscheinung bleibt auch unter den Voraussetzungen der militärischen Grundausbildung auf gewisse Weise makellos und korrekt. Sein gesamtes Erscheinungsbild mag ihn vor den drakonischen Strafen bewahrt haben, denen sich manche seiner Kameraden für Nachlässigkeit und Unkorrektheit unterziehen mussten, wie etwa dem Schrubben des Fußbodens mit einer Zahnbürste. Vielleicht hat ihn eine Aura des Unberührbaren umgeben, die ihn letztlich auch vor Kriegsverletzungen geschützt hat.


8. Der Krieg 1914 - 1918

Einen Krieg wie den Ersten Weltkrieg hat die Menschheit zuvor noch nicht erlebt. In jeder Minute sterben vier Soldaten, am Ende werden in den vier Kriegsjahren 10 Millionen Soldaten gefallen sein. Es ist der erste Krieg, in dem die technischen Erneuerungen der Industriellen Revolution zum Einsatz kommen: motorisierte Fahrzeuge, Maschinengewehre, Flugzeuge, und Giftgas. Die psychische Erschütterung, die das erste maschinengestützte Massensterben auslöst, wirkt noch Jahrzehnte nach.

1918 ist der Krieg für Deutschland und für Österreich verloren. Kaiser Wilhelm II ist geflohen und die Monarchie durch das Volk gestürzt. Das Ende des verheerenden Krieges und der gleichzeitige Zerfall des strengen monarchischen Obrigkeitsgefüges katapultiert Deutschland in eine nie zuvor erfahrene Freiheit, in der sich alle Bereiche austoben können, insbesondere die der Kunst und Kultur und auch die Politik.

Der verlorene Krieg spaltet die Bevölkerung in extreme Lager, der Krieg geht auf der Straße weiter in Aufständen, Putschs und Straßenkämpfen. Deshalb weicht die Regierung auch zeitweise in die kleine thüringische Stadt Weimar aus, die der ersten deutschen republikanisch-demokratischen Staatsform ihren Namen verleiht, die ‚Weimarer Republik’ (1919 -1933). Die wilden ‚Zwanziger Jahre’ sind golden für die Kunst und Kultur, und für das gesellschaftliche Leben, politisch sind sie wirr und unfriedlich. In den 14 Jahren der ‚Weimarer Republik’ regieren aufeinander folgend 14 Reichskanzler. Jene Kräfte, die eine Revanche fordern, eine Vergeltung für die Niederlage des verlorenen Krieges, werden sich am Ende durchsetzen.


9. Nie mehr Krieg

Die Erfahrung als Soldat führt Walter Schulze-Mittendorff zu einer strikten Einstellung gegen den Krieg. Sein Entschluss sich nicht mehr an einem zweiten Krieg zu beteiligen gleicht fast einem sich selbst gegebenen Versprechen, denn tatsächlich hat er sich nie mehr in kriegerische Handlungen hineinziehen lassen.

Als eines seiner ersten Werke nach dem Krieg erschafft er den Portraitkopf von Karl Liebknecht. Liebknechts unbeugsame Haltung gegen den Krieg, seine Persönlichkeit und sein Schicksal haben den Künstler dazu animiert dem deutschen Politiker ein privates Denkmal zu setzen. 1918 ist der Krieg für Deutschland und für Österreich verloren. Kaiser Wilhelm II ist geflohen und die Monarchie durch das Volk gestürzt. Das Ende des verheerenden Krieges und der gleichzeitige Zerfall des strengen monarchischen Obrigkeitsgefüges katapultiert Deutschland in eine nie zuvor erfahrene Freiheit, in der sich alle Bereiche austoben können, insbesondere die der Kunst und Kultur und auch die Politik.

Am 15. Januar 1919 wurde Karl Liebknecht (1871 - 1919) zusammen mit Rosa Luxemburg von Offizieren, ehemaligen Frontsoldaten und nun Mitgliedern eines paramilitärischen Freikorps, ermordet.

Viele Mitglieder der Freikorps machten später bei den Nationalsozialisten Karriere.


10. Meisterschüler an der Akademie

1919 setzt Walter Schulze-Mittendorff seine Studien an der nun ‚Staatlichen Akademie der Bildenden Künste’  fort. 1920 ist das Jahr des Durchbruchs für seine künstlerische Karriere. Er bekommt von der Akademie, deren Präsident jetzt der Maler Max Liebermann ist, ein Meisteratelier unter dem Atelier-Vorsteher Professor Karl Ludwig Manzel zugesprochen. Im selben Jahr wird ihm von der ‚Akademie der Künste’ der ‚Dr. Paul Schultze-Preis für Bildhauerei’ verliehen.

1923 wird ihm der ‚Rom-Preis’ zuerkannt, der aber wegen der dramatischen Geldentwertung, der Hyperinflation von 1923, lediglich ein Ehrenpreis bleibt – nach Rom ist er nicht gefahren. Der Preis, der zu Studien in Rom dienen soll, wurde einmal jährlich als ‚Großer Staatspreis der Preußischen Akademie der Künste’ an Maler, Bildhauer und Architekten vergeben, nachdem sie den dafür nötigen Wettbewerb gewonnen hatten. Heute berechtigt der Rom-Preis zu einem Studienaufenthalt an der ‚Deutschen Akademie Rom Villa Massimo’.

1926 wird Walter Schulze-Mittendorff von der Akademie verabschiedet und führt als freischaffender Künstler ein eigenes Atelier in der Bleibtreustraße 7 in Berlin- Charlottenburg, das er erst 1949 aufgibt.


11. Gedenkmedaille für Elsa Brandström

1920 erhält Walter Schulze-Mittendorff von der Deutschen Reichsregierung den Auftrag zu Ehren von Elsa Brandström eine Gedenkmedaille zu entwerfen, als Ausdruck des Dankes des deutschen Volkes. Die schwedische Krankenschwester des Roten Kreuzes hatte deutsche Kriegsgefangene in den Lagern Sibiriens aufopfernd gepflegt und war mutig für bessere Lagerverhältnisse eingetreten. Durch ihren selbstlosen Einsatz waren die Leiden tausender deutscher Kriegsgefangener gelindert und viele der Kriegsgefangenen vor dem sicheren qualvollen Tod bewahrt worden.

Elsa Brandström, die nach dem Krieg in Deutschland lebte, emigrierte 1934 in die USA, weil sie erkannt hatte, dass es in ihrer Heimat keine Aussicht mehr auf Menschlichkeit gab. In Amerika unterstützte sie nun die Flüchtlinge, die der Nazi-Terror vertrieben hatte, bei deren Eingliederung in das neue Leben. 1945 sammelte sie Geld und Sachspenden für die Kinder im zerstörten Deutschland. Ihre Worte legen Zeugnis von ihrer Hingabe ab: „Die größte Vergeudung unseres Lebens besteht in der Liebe, die nicht gegeben wird.“


12. Heirat

Mit der Aufnahme in die Akademie der Bildenden Künste bildet sich ein neuer Freundeskreis heraus, und Walter Schulze-Mittendorff lernt seine erste Frau kennen, Elisabeth Liewen, die Tochter des jüdischen Fabrikanten Max Liewen, die er am 27. Mai 1919 heiratet. Das Ehepaar zieht in die Ilmenauer Straße 9b in Berlin-Schmargendorf, in unmittelbare Nähe zum Villenviertel Berlin-Grunewald.

Max Liewen besitzt in Grunewald drei Anwesen: Eine stattliche Villa in der Winklerstraße 4 mit Zugang zum Koenigssee, in der er mit seiner Familie bis 1933 lebt und die noch heute umgebaut existiert; die Hälfte einer Doppelvilla in der Erdener Straße 5, in die Walter Schulze-Mittendorff 39 Jahre später mit seiner Familie einziehen wird und ein 1 Hektar großes Gartengrundstück in der Erbacher Straße, Ecke Niersteiner Straße.


13. Das gesellschaftliche Leben in Berlin-Grunewald

Seit ihrer Gründung 1889 haben sich in der Villenkolonie Grunewald Industrielle, Bankiers, Künstler, Wissenschaftler, Verleger und Politiker niedergelassen, darunter viele sehr berühmte Persönlichkeiten. Es pulsiert hier ein eigenes Leben, in dem die Kultur eine herausragende Rolle spielt. Der Reichtum wird nicht durch das Prahlen mit Geld zur Schau gestellt; es kommt vor, dass Bankiers, Kaufleute und Fabrikbesitzer, Vertreter des Großbürgertums*, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß zu ihrem Arbeitsplatz gelangen. Der Reichtum zeigt sich in der Beschäftigung von Personal, in einem großzügigen und kultivierten Lebensstil, in einer umfassenden Allgemeinbildung und in einem geselligen Leben mit dem Engagement für Kunst und Kultur.

Der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Grunewald ist mit fast 40% weit höher als in irgendeinem anderen Gebiet von Berlin und Deutschland. Grunewald ist der Ort, an dem sich die deutsch-jüdische Gemeinschaft zur kulturellen Hochblüte herausgebildet hat und wo der Antisemitismus fremd ist. Er wird aber in das Viertel hineingetragen. 1922 wird hier der erste und einzige jüdische deutsche Außenminister Walter Rathenau in seinem Auto von zwei ortsfremden jungen Männern ermordet. Der Mord geschieht unweit seines Hauses in der Koenigsallee auf der Höhe des Anwesens der Bankiersbrüder von Mendelssohn.

Bereits 1946 ist an dieser Stelle ein Stein mit einer Gedenktafel errichtet worden zum Andenken an den ermordeten deutsch-jüdischen Politiker.

Walter Schulze-Mittendorff wird nun Teil der Grunewalder Gesellschaft. Er ist zu Gast bei den legendären Hausmusikabenden der Brüder Franz und Robert von Mendelssohn, bei denen auch Albert Einstein gelegentlich musiziert, und erzählt, dort sogar einmal den spanischen Cellisten Pablo Casals spielen gehört zu haben.

Das Anwesen der Bankiersbrüder, bebaut mit einem Palais und Stallgebäuden, erstreckt sich über drei Straßenzüge und wird vom Herthasee im Süden begrenzt. Es wird, wie viele der Grunewalder Prachtvillen, im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Als gern gesehener Gesellschafter genießt er das gesellige Leben; er ist ein Liebling der Frauen und er lässt es sich gefallen. Scherzhaft bezeichnet er sich als den ‚Vorzeige-Goi’ seiner angeheirateten jüdischen Familie.

Ein sehr naher Freund von ihm ist Hans Wertheim, ein Sohn von Franz Wertheim aus der Kaufmannsdynastie, der das gleichnamige Warenhaus am Leipziger Platz gehört, eines der pompösesten europäischer Warenhäuser seiner Zeit. Hans Wertheim stirbt 1938 und wird in Schulzendorf bei Berlin beerdigt. In Schulzendorf betreibt Walter Schulze-Mittendorff bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein zweites Atelier.


  1. *Das deutsche Großbürgertum, das Reichtum, Mäzenatentum und humanistische Bildung in sich vereinte, existiert in dieser Form allenfalls nur noch rudimentär. Heute wird diese Gesellschaftsklasse häufig salopp mit ‚Superreiche’ bezeichnet, was auf den Wegfall der Bedeutung des kulturellen Engagements und der humanistischen Bildung und Gesinnung hinweisen kann.


14. Begegnung mit dem Filmregisseur Fritz Lang (1890 - 1976)

Der Film ist als Kunstform gerade geschaffen worden, doch noch zeigt er sich in schwarz-weiß und stumm. Und noch gibt es keine Ausbildung, um das Filmfach zu erlernen. Ein Film entsteht unter der Mitwirkung von Künstlern und Technikern verschiedener Sparten, die die neue Kunst der Photographie miteinander vereint. Deshalb nennt man in Frankreich den Film auch die 7. Kunst. Das Schauspiel, der Tanz, die Musik, die Architektur, die Bildende Kunst und die Dramaturgie werden im Zusammenspiel – auf Celluloid gebannt – unsterblich gemacht.

1920 lernt Walter Schulze-Mittendorff den Filmregisseur Fritz Lang kennen. Sein Freund aus der Studienzeit, der Maler Robert Herlth, bringt ihn mit dem Regisseur zusammen. Während Herlth auf der Grundlage der Malerei die Filmarchitektur zu seinem Beruf macht, bereichert die Begegnung mit Fritz Lang Walter Schulze-Mittendorffs  künstlerisches Schaffensfeld zunächst nur um eine neue Variante.

In Lang und Schulze-Mittendorff finden zwei Gleichgesinnte zueinander; beide sind ambitionierte und engagierte Künstler, beide drängt es zur Vervollkommnung und Präzision, beide verfügen über die Sensibilität des Weitblicks, beide teilen das Schicksal, als Offiziere der Reserve ab 1915 im Ersten Weltkrieg gedient zu haben, Fritz Lang als Österreicher, und beide wohnen nach dem Krieg im selben Berliner Stadtteil nahe beieinander.

Walter Schulze-Mittendorff:

„Mit Lang ergab sich sofort ein ausgezeichneter Kontakt. Wir waren gleichaltrig und alle Beteiligten waren von künstlerischen Ambitionen erfüllt. Lang war in jenen Jahren durchaus der Überzeugung – dass sich der Film zu der eigentlichen Kunstform unserer Jahre entwickeln liesse. Ich habe ihm immer widersprochen – weil mir die Bildende Kunst – vor allem die Architektur – „trächtiger“ erschien. Dem Film haftete bei allem Bemühen um Kunst immer noch etwas von der „Schaubude“ an – was meines Erachtens die richtige Mischung zum guten „Kintopp“ ergab.“                                                                     

Dieser engagierte Disput zweier Künstler darüber, welche Kunstform „trächtiger“ sei, also schwergewichtiger, einflussreicher und anerkannter – der Film oder die Architektur, findet im Berlin der 20er Jahre statt. Wer das Berlin von heute kennt, kann die Aktualität dieser Diskussion nachempfinden, denn es sind diese beiden Kunstrichtungen, die in der Kulturhauptstadt Berlin heute wieder vor allen anderen hervorstechen und sich am Potsdamer Platz die Hände reichen.

In dieser schriftlichen Einladung vom November 1926, Schulze-Mittendorff ‚Metropolis’ vorab zeigen zu wollen – der Film hat erst am 10. Januar 1927 Premiere –, bekundet Lang nebenbei auch das Interesse an den neuen Arbeiten des Bildhauers: „NB. Röhrig sagte mir, dass Sie Ihr Atelier verlegt haben. Schreiben Sie mir, wo es ist. Ich möchte gern Ihre neuen Sachen sehen.“ Die Frage nach dem Atelier bezieht sich auf Schulze-Mittendorffs neues Atelier in der Bleibtreustraße 7 in Berlin-Charlottenburg.

In der Zeit von 1920 bis 1932 arbeitet Walter Schulze-Mittendorff als freier Bildhauer an fünf Filmen von Fritz Lang mit, das sind die Filme:


1921:  Der müde Tod (siehe FILM)

1924:  Die Nibelungen

1927:  Metropolis (siehe FILM)

1928:  Spione

1932:  Das Testament des Dr. Mabuse


Das Zusammentreffen mit Fritz Lang legt den Grundstein für Walter Schulze-Mittendorffs lebenslanges Schaffen für den Film.


15. Der Expressionistische Film

Die Menschen sind vom Krieg ausgezehrt, nicht nur physisch, auch seelisch. Es herrscht ein Hunger nach dem Gegenteil von Krieg, das ist die Kreativität, die Freiheit, das Schöpferische auszudrücken, die Entspannung durch die Muse, die Verarbeitung des Schreckens durch das Feinsinnige. Nach dem Krieg erlebt die Stilrichtung des Expressionismus im Film einen weiteren Höhepunkt. Der Film dient sich an als ein Medium für den Aufschrei der verwundeten Seele.

Der deutsche Expressionistische Film ist geprägt durch das Entsetzen des Ersten Weltkriegs. Gerade ist damit begonnen worden, die menschliche Psyche zu analysieren. Das ‚Ich’ tritt immer deutlicher ins Bewusstsein, während es zur gleichen Zeit beschädigt wird durch die Erfahrung von unmittelbarer Gewalt, von Entbehrung und vielfachem Tod. Die Psyche wird erschüttert und zerbrochen, verschoben und verrückt. Mit dem Stilmittel des Expressionismus wird die Filmkulisse, die der Handlung Raum gibt, verzerrt, und lässt diesen unwirklich erscheinen.

Was ist wirklich? Diese Frage mutet an wie ein unbewusstes Hauptmotiv des Expressionistischen Films. Etwas ist aufgebrochen und lässt das Dunkle, das Okkulte ans Licht, damit es bewusst werde. Wahnvorstellungen und Wahnsinn, unbeherrschbare menschenfremde Wesen, Verderben und Tod sowie dunkle Mächte sind die vorherrschenden Themen im deutschen Film nach dem Ersten Weltkrieg. Einige herausragende Filme dieser Zeit antizipieren das Grauen, das durch die Nationalsozialisten wenige Jahre später real werden soll.


16. Das Testament des Dr. Mabuse -- der letzte Film

Der letzte gemeinsame Film ‚Das Testament des Dr. Mabuse’ ist gleichzeitig der letzte Film von Fritz Lang, bevor er 1933 Deutschland verlässt.

Wie viele Filme Langs, zeigt auch ‚Das Testament des Dr. Mabuse’ die tief sitzende, scheinbar unbeherrschbare Abgründigkeit menschlicher Triebkräfte, die verführend auf ihre Umgebung wirken. Als Insasse einer „Irrenanstalt“ leidet Dr. Mabuse an einer Verrücktheit, die über alle Maßen ebenso gefährlich wie ansteckend ist. Er erscheint als Inkarnation des Verderbens und als solcher als geisteskrank; ein krankes Hirn, das sich Verbrechen ausdenkt und dabei eine große Suggestivkraft entfaltet. Der behandelnde Arzt und Anstaltsleiter, Professor Baum, ist besessen von seinem Patienten und wird zu dessen Werkzeug im Aufbau einer raubenden und mordenden sowie Terror verbreitenden Organisation. Dabei wirkt Dr. Mabuse auf gespenstische Weise auf Professor Baum ein und dieser verwirklicht, im Geheimen und anscheinend stets hinter einem Vorhang verborgen, dessen verbrecherische Gedanken.

Durch die Verschleierung der Quelle des Verderbens, ein Gehirn, welches kranke Gedanken produziert, entsteht für die Akteure der Handlung der Eindruck, das Verbrechen verbreite sich, wie aus dem Nebel heraus, unfassbar, und überzöge letztlich die Erde wie ein Fluch.

Das Testament des Dr. Mabuse ist der schreckliche Plan, die ‚Herrschaft des Verbrechens’ zu errichten:

Die Seele der Menschen muss in ihren tiefsten Tiefen verängstigt werden durch unerforschliche und scheinbar sinnlose Verbrechen. Verbrechen … die nur den einen Sinn haben, Angst und Schrecken zu verbreiten. Der letzte Sinn des Verbrechens ist, eine unbeschränkte Herrschaft des Verbrechens aufzurichten – einen Zustand vollkommener Unsicherheit und Anarchie auf den zerstörten Idealen einer Welt, die zum Untergang verurteilt ist. Wenn die Menschen vom Terror des Verbrechens beherrscht, vom Grauen und Entsetzen toll geworden sind, wenn das Chaos zum obersten Gesetz erhoben – dann ist die Stunde der Herrschaft des Verbrechens da.


Zum Schluss überlässt Dr. Mabuse dem Anstaltsleiter aber nicht allein sein Testament. Er selbst tritt als Geist in Professor Baum ein und dieser wird nun innerlich endgültig zu Dr. Mabuse. Die Übertragung von Identität sichert hier dem Verbrechen sein Überleben.


Einige von Fritz Langs Filmen erscheinen wie Menetekel in Hinblick auf die zukünftige Zeit. Dazu gehört auch dieser letzte Film aus Langs Schaffensperiode in der Weimarer Republik. Es scheint, als zeichnete ‚Das Testament des Dr. Mabuse’ eine gerade Verbindungslinie zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs, der das Chaos brachte, bis zum Ende der Weimarer Republik, da es sich fest etabliert hatte. Für wache Geister ist die Konsequenz erkennbar: die Unausweichlichkeit einer Schreckensherrschaft.

Die Botschaft dieses Films, Dr. Mabuses Testament, bleibt hier nicht mehr nur Fiktion, die in ihm enthaltene Wahrheit spiegelt die Realität. Mit einem Paukenschlag wird alle Hoffnung auf ein Entrinnen zunichte; ab dem 30. Januar 1933 sind die Nationalsozialisten an der Regierung und können ihre Herrschaft im Staat aufbauen, eine Herrschaft des Verbrechens. Verbrechen können nur gedeihen, wenn sie verdunkelt und verleugnet werden, die Offenlegung und Bewusstmachung ist ihr größter Feind.

Der neue nationalsozialistische Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels verbietet am 29. März 1933 das Erscheinen des Films. Eine Ära der Freiheit des Geistes, der künstlerischen Ausdrucksformen und der Hoffnung auf Menschlichkeit ist beendet. Wie ein Myzel durchdringt die neue Macht mit ihrer Herrschaft des Verbrechens den schwachen menschlichen Geist, und diejenigen, die nicht fliehen, sondern bleiben und sich dennoch nicht anstecken lassen, fallen zumeist nicht auf.


17. 1933

Es sind die Menschen mit einem wachen Geist, die sich keine Illusionen über eine Harmlosigkeit der Nationalsozialisten (Nazis) machen. Künstler, aber auch Philosophen und Wissenschaftler, darunter in der Mehrzahl jüdische Bürger, verlassen 1933 in einer ersten Emigrationswelle Deutschland. Aber es zählen auch diejenigen Deutschen dazu, die unter der Repression der menschenverachtenden Diktatur nicht mehr leben und arbeiten wollen. Denn jetzt werden alle gesellschaftlichen Bereiche ‚gleichgeschaltet’; es darf nur noch das gesagt, gelehrt und getan werden, was der Ideologie der nationalsozialistischen Partei entspricht.

Die Kunst, Domäne schöpferischer Freiheit, ist reglementiert, sie muss sich dem Kunstempfinden der neuen Machthaber unterwerfen. Die Kunst, in der der Künstler seinen Impulsen folgt und sich aus seiner inneren Freiheit heraus ausdrückt, kann schnell als ‚entartet’ diffamiert werden und der Künstler wird dann mit Berufsverbot belegt. Der ‚entarteten Kunst’ wird die ‚Deutsche Kunst’, die Kunst im Sinne des Nationalsozialismus gegenübergestellt. Zur ‚entarten Kunst’ zählen beispielweise die Stilrichtungen des Expressionismus, des Kubismus und des Surrealismus.


Auch Walter Schulze-Mittendorff plant Deutschland zu verlassen und bemüht sich um Immigrationspapiere für die USA. Er hat die Papiere bereits in der Tasche, als sich herausstellt, dass seine Schwiegereltern nicht zur Emigration bereit sind, sie fühlen sich zu alt dazu. Sein Schwiegervater Max Liewen hatte schon viele Jahre zuvor seinen ursprünglichen jüdischen Namen Levi in Liewen eindeutschen lassen, ein Zeichen dafür, dass er sich als Deutscher empfindet. Das bedeutet aber nicht, dass er jetzt die Gefahren des Nationalsozialismus für sich als Jude unterschätzt. Bereits 1932 verkauft er seine Villa in der Winkler Straße 4 und zieht 1933 in eine Wohnung in der Trabener Straße 19.

Walter Schulze-Mittendorff bringt es nicht fertig, auszuwandern und seine alten Schwiegereltern in Nazi-Deutschland zurückzulassen. 1933 zieht er mit seiner Frau zu ihnen, um ihnen nahe zu sein. Die Schwiegereltern sterben 1936 in ihrer Wohnung; die Cousine seiner Frau, mit der er bis zu seinem Lebensende eng befreundet bleibt, emigriert nach New York.

Es lässt sich nur schwer vorstellen, was es bedeutet, erst dem Terror entfliehen zu wollen und sich diesem dann dennoch ganz bewusst auszusetzen. In dieser Situation bedarf es einer Kühnheit – bei gleichzeitiger Bescheidenheit, denn bei Angst, die mit Selbstsucht gepaart ist, wird man leicht zum Opfer. Es geht Walter Schulze-Mittendorff nicht nur um den Schutz seiner Familie, sondern auch darum, unter größtmöglich normalen Umständen seinen Beruf weiter auszuüben; das bedeutet, in dieser Zeit als Künstler zu arbeiten und dabei möglichst wenig aufzufallen. Denn man kann auf zweierlei Weise zum Opfer werden: erstens, indem man in Ungnade fällt und dadurch zum Verfolgten wird, und zweitens, indem man durch zu große berufliche Ambitionen von den Nazis für deren Zwecke vereinnahmt wird; beides gilt es zu umgehen.

Walter Schulze-Mittendorff kann auf Grund seiner umfassenden Ausbildung, zum Bildhauer, Stuckateur, Zeichner und Künstler auf vielfältige Weise tätig sein und die Kunst mit dem soliden Handwerk verbinden. 1936 erhält er von der Firma I. G. Farbenindustrie AG den Auftrag, anlässlich der Olympiade in Berlin für den ‚AGFA Pavillon’ die Ausstellung „Die Mode im Wandel der Jahrtausende“ zu entwerfen.


18. Im Angesicht des Grauens

Für Walter Schulze-Mittendorff besteht die paradoxe Situation, dass er eigentlich Nazi-Deutschland verlassen wollte, weil ihm klar war, was ihn erwarten wird, wenn er bleibt; nämlich das unmittelbare Erleben der Judenverfolgung, die Aufhebung der künstlerischen Freiheit und letztlich der Krieg. Aber gerade aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinem jüdischen Schwiegervater hat er auf die Ausreise verzichtet. Angesichts des Grauens, mit dem er jetzt konfrontiert ist, bedarf es eines strategischen Vorgehens, das ein Leben im Überleben zum bestmöglichen Wohle für ihn und seine Frau möglich machen.

Walter Schulze-Mittendorff durchschaut die Nazis und deren Vorhaben, das versetzt ihn in die Lage, den ersten Schritt zu tun. 1932 lässt er seinen bereits 12 Jahre inoffiziell geführten Doppelnamen behördlich eintragen. Dazu mag ihn die Überlegung motiviert haben, dass bei einer Gefangennahme seiner Frau der Name ‚Schulze’ zu anonym wäre, da er zu den häufigsten Namen zählt. Den Ort einer Verwahrung herauszufinden ist einfacher, wenn der Name der Gefangenen selten und auffällig ist.

Später, als es für seine Frau gefährlich wird, geht er immer wieder direkt zu den Behörden und handelt für sie aus, dass sie zu Hause bleiben kann; das kostet Geld, das Vermögen schmilzt dabei dahin. Er sagt zu den Herren dort: „Warum sprechen Sie von meiner Frau als ‚halb-jüdisch’, Sie können doch genauso gut von ‚halb-arisch’ reden.“ Es mag an seiner kühnen Haltung liegen, dass er davor bewahrt bleibt, zur Scheidung von seiner Ehefrau gezwungen zu werden, und selbst als seine Ehe später bröckelt, bleibt er mit seiner Frau bis zu deren Tod 1949 verheiratet.

Ab 1941 wird Walter Schulze-Mittendorff ständig Zeuge der verbrecherischen Menschenverschleppungen. Das Grundstück des Hauses Trabener Straße 19 grenzt an der Rückseite an das Gleis 17 des Bahnhofs Berlin-Grunewald. Von diesem Gleis aus werden in den letzten dreieinhalb Kriegsjahren Jahren 50.000 Juden in die Vernichtungslager im Osten deportiert. Der S-Bahnhof Grunewald dient dem innerstädtischen Personentransport, während der vordere Teil des Bahnhofs als Güterbahnhof genutzt wird. Das Gleis 17 ist das erste Gleis des Güterbahnhofs und kann deshalb über eine Rampe befahren werden, alle anderen Gleise sind nur über Treppen erreichbar. Auf Lastwagen, die auf der Trabener Straße an der Vorderfront der Grundstücke vorbeifahren, werden die Menschen zum Bahnhof verbracht. An der Rückfront der Grundstücke werden sie dann auf dem Gleis 17 entladen und in die Güterwaggongs verfrachtet, die sie in die Todeslager bringen. Für Walter Schulze-Mittendorff ist es nach dem Krieg unfassbar, dass es Menschen gibt, die von den Verschleppungen nichts gemerkt haben wollen, ist es in Berlin doch so offensichtlich gewesen. Heute ist das Gleis 17 ein Mahnmal „Zum Gedenken der Opfer der Vernichtung“.

Es sei hier erwähnt, dass neben der Hauptgruppe der Verfolgten, den Juden, die ganz gezielt der Vernichtung ausgesetzt sind, auch die Roma und Sinti, die Kommunisten und Sozialdemokraten, die Pazifisten und Defätisten (zum Beispiel Sophie Scholl), die geistig und körperlich Behinderten, die Bettler und Obdachlosen, die Homosexuellen, die Prostituierten, die Zeugen Jehovas, die Astrologen und die Swing-Jugend (die jugendlichen Fans der amerikanischen Swing Musik), zu den Verfolgten zählen. Viele von diesen Menschen werden zum Tode verurteilt oder kommen in den Konzentrationslagern ums Leben.

Die größte Bedrohung für sein Leben stellt für Walter Schulze-Mittendorff der Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 dar. Hat er schon nach der Erfahrung des Ersten Weltkriegs eine klare Position gegen den Krieg bezogen, ist es für ihn jetzt absolut ausgeschlossen, für die Nazis in den Krieg zu ziehen. Zudem würde sein Einzug zum Militär bedeuten, dass er seine Frau schutzlos zurücklassen müsste. Nachdem er zwischen 1935 und 1938 an fünf weitern Filmen mitgewirkt hatte, fasst er 1940 den Entschluss, sich von der Terra Filmkunst GmbH als Kostümbildner unter Vertrag nehmen zu lassen. Das ist ein geschickter Schachzug von ihm, denn die Filmproduktion untersteht dem Reichspropagandaministerium, und als Filmschaffender steht er automatisch auf der Liste von Minister Joseph Goebbels als ‚unabkömmlich’. Damit ist er vom Kriegsdienst befreit.

Am Ende des Krieges wird es für einen kurzen Augenblick noch einmal brenzlig für ihn. Alle waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren werden jetzt zum ‚Volkssturm’ herangezogen, ein völlig aussichtsloses letztes militärisches Aufbäumen vor dem endgültigen Niedergang; es wird geschätzt, dass 175.000 Volkssturmangehörige in den letzten Kriegsmonaten gefallen sind.

Auch Walter Schulze-Mittendorff wird kurz vor Kriegsende zum ‚Volkssturm’ eingezogen. Als er zu seiner Abteilung kommt und den militärischen Zugführer sieht, handelt er sehr schnell und bestimmt. Er fasst in seine Manteltasche und täuscht darin mit seinen langen Fingern die Umrisse eines Pistolenlaufs vor, zielt damit auf den Zugführer und sagt zu ihm in scharfem Ton: „Wenn Sie mich nicht augenblicklich gehen lassen, erschieße ich Sie.“ Der Zugführer ist daraufhin so verschreckt, das er ihn ohne weiters ziehen lässt.

Kurze Zeit später ist der Krieg vorbei, und die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, die Herrschaft des Verbrechens, hat ein Ende.


19. Tiefe Einsicht

Aus der Zeit des Kriegsendes, um das Jahr 1945 herum, der Zeit der maßlosen Zerstörung und des Zusammenbruchs, findet sich unter den handschriftlichen Papieren von Walter Schulze-Mittendorff ein zitierter Spruch von tiefer Einsicht, der hier als ein Fazit nachklingen soll:


„Ist einer Welt Besitz für dich zerronnen,

sei nicht in Leid darüber, es ist nichts;

und hast du einer Welt Besitz gewonnen,

sei nicht erfreut darüber, es ist nichts.

Vorüber geh’n die Schmerzen und die Wonnen.

Geh an der Welt vorüber, es ist nichts.“


Plato


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